Unkraut mit Zucker bekämpfen: BMBF-Projekt entwickelt Herbizid aus Blaualgen

Im Projekt 7dSherbizid arbeitet das Projektteam an einem umweltverträglichen Herbizid auf Basis der organisch-chemischen Verbindung 7-Desoxy-Sedoheptulose (7dSh). Bei dem Naturstoff handelt es sich um einen außergewöhnlichen Zucker aus Blaualgen, der gegen verschiedenste Unkräuter wirkt.

Neben dem Patent auf den Wirkstoff selbst hat das Forschungsteam über die Eberhard Karls Universität Tübingen eine weitere Patentschrift beim europäischen Patentamt eingereicht. Wir haben mit dem Koordinator des VIP+-Projekts, Professor Klaus Harter vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen an der Universität Tübingen, zum Stand der Dinge gesprochen.

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Unkraut mit Zucker bekämpfen: BMBF-Projekt entwickelt Herbizid aus Blaualgen© AdobeStock / KaYann

Was ist das Besondere an diesem Herbizid und wie funktioniert es?

Prof. Dr. Klaus Harter: Bei dem Naturstoff 7dSh handelt es sich um einen außergewöhnlichen Zucker aus Blaualgen, sogenannten Cyanobakterien. Der Zucker hemmt gezielt das Wachstum von Pflanzen über einen vermutlich nur in Pflanzen vorhandenen Stoffwechselweg. Der Stoff ist biologischen Ursprungs, in der Natur gut abbaubar und damit voraussichtlich sehr gut geeignet für den Einsatz im Garten, in der Landwirtschaft oder auch, um in Gleisbetten von Bahnstrecken gezielt Unkraut zu bekämpfen. Damit steht erstmals die Basis für eine umweltverträgliche biogene Alternative zu herkömmlichen Unkrautbekämpfungsmitteln zur Verfügung. Da es sich bei 7dSh um einen Naturstoff handelt, gehen wir auf Basis der vorhandenen Daten davon aus, dass es im Gegensatz zu synthetischen Herbiziden – bedingt durch einen schnelleren Abbau – nur kurz im Boden verbleibt. Je kürzer eine biologisch aktive Substanz im Boden verweilt, umso geringer sind in der Regel die Auswirkungen auf die Biodiversität. Wir haben zudem erste Hinweise, dass 7dSh erst nach Aufnahme in die Pflanze durch eine biochemische Modifikation aktiviert wird. Falls dies tatsächlich von uns bestätigt werden kann, hätten wir einen Wirkstoff, der außerhalb der Pflanze überhaupt nicht aktiv ist – das wäre der Idealfall für ein nachhaltiges Herbizid.

Es klingt, als sei das ein Sensationsfund.

Prof. Dr. Klaus Harter: Die Mikrobiologinnen und -biologen an der Uni Tübingen untersuchen regelmäßig Cyanobakterien-Stämme auf neuartige Produkte ihres Stoffwechsels, sogenannte Metaboliten. Dass neue Stoffe gefunden werden, kommt allerdings nur sehr selten vor. Unsere Substanz wurde bereits Anfang der 1970er Jahre von einer japanischen Arbeitsgruppe beschrieben. Damals wusste man allerdings noch nicht, was sie bewirken kann. Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Karl Forchhammer an der Universität Tübingen hat die besondere Wirkung der organisch-chemischen Verbindung 7-Desoxy-Sedoheptulose (7dSh) im Jahr 2019 entdeckt. Ein damaliger Doktorand hatte herausgefunden, dass die Substanz eine hemmende Wirkung auf das Wachstum und die Entwicklung anderer fotosynthetisch aktiver Organismen hat. Die Behandlung mit 7dSh führt bei allen bisher getesteten Pflanzenarten dazu, dass die Keimung und besonders das Wurzelwachstum unterdrückt wird. Das kann zum Absterben der Pflanzen führen.

Wie kam es dann zum gemeinsamen Projekt „7dSherbizid“?

Prof. Dr. Klaus Harter: Am Projekt beteiligt sind die Partner aus Arbeitsgruppen der Mikrobiologie (AG Prof. Dr. Karl Forchhammer), der Pflanzenphysiologie (AG Prof. Dr. Klaus Harter, AG Dr. Üner Kolukisaoglu) und der Ökotoxikologie (AG Prof. Dr. Heinz Köhler) von der Universität Tübingen, gemeinsam mit der Fermentations- und Formulierungstechnologie der Fachhochschule Bielefeld (AG Prof. Dr. Anant Patel). Die Kompetenzen beider Hochschulen ergänzen sich hervorragend, um den Wirkstoff 7dSh zu einem marktreifen und konkurrenzfähigen Präparat weiterzuentwickeln: Während die Gruppen in Tübingen sich mit den biologischen und ökotoxikologischen Aspekten von 7dSh beschäftigen, arbeitet die Gruppe in Bielefeld an der 7dSh-Synthese – also an der Herstellung und Formulierung bzw. finalen Darreichungsform. Das Projekt mit seinen Partnern füllt damit perfekt die Lücke zwischen Grundlagenforschung und Anwendung.

Was sind die nächsten Schritte bis hin zu einem marktreifen Produkt, das als Herbizid im Baumarktregal steht?

Prof. Dr. Klaus Harter: Aktuell beschäftigen wir uns im Projekt einerseits mit der Frage, wie große Mengen des Wirkstoffs kostengünstig hergestellt werden können. Hier verfolgen wir einen biologischen Ansatz und nehmen ein Bakterium zu Hilfe, das unter optimalen Bedingungen im Bioreaktor große Mengen an 7dSh sekretiert. Aus der Nährlösung muss der Wirkstoff mittels einer kostengünstigen Methode gereinigt werden. Diese befindet sich gerade in der Entwicklung.

Andererseits müssen wir garantieren, dass der Wirkstoff auch in ausreichender Menge und lange genug genau dorthin gelangt, wo er gebraucht wird – also in den Boden beziehungsweise an die keimende Pflanze. Hierzu entwickeln wir mit vielversprechenden Ergebnissen gerade eine sogenannte Formulierung. Formulierung bedeutet in diesem Zusammenhang, den Wirkstoff in eine in der Praxis anwendbare Form zu bringen, beispielsweise als Granulat.

Gegen welche Pflanzen wirkt der Stoff besonders gut? Gibt es weitere Voraussetzungen für die Wirksamkeit von 7dSh?

Prof. Dr. Klaus Harter: Besonders gut wirkt der Stoff auf auskeimende Pflanzensamen – und dabei vor allem auf das Wachstum der Wurzel. Nach gegenwärtigem Wissensstand wirkt 7dSh jedoch nicht systemisch wie viele andere Herbizide, sondern organspezifisch und trifft primär einzelne Pflanzenteile. Das könnte einerseits daran liegen, dass die Keimlinge oder Wurzeln sehr effizient Zucker aufnehmen, die oben genannte biochemische Modifikation von 7dSh nur in der Wurzel stattfindet oder das Zielenzym von 7dSh nur in der Wurzel vorhanden ist. Unser Team analysiert gerade detailliert, auf welche molekulare Weise die 7dSh-Aktivität in der Pflanze erreicht wird und wie der Wirkstoff die Funktion seines Zielenzyms im pflanzlichen Organismus beeinflusst. Dieses Wissen ist nicht nur wichtig für die Zulassung als Herbizid, sondern auch eine zentrale Voraussetzung für die Herstellung von Nutzpflanzen mittels neuartiger Züchtungsmethoden, die gegen 7dSh tolerant sein sollen. Solche Pflanzensorten sind sehr wichtig für eine nachhaltige Landwirtschaft. Außerdem untersuchen wir verschiedene Konsequenzen der 7dSh-Anwendung auf sogenannte Non-target-Organismen, also Organismen, die nicht betroffen sein sollen, um die Umweltverträglichkeit des Wirkstoffs zu überprüfen. Bis jetzt mit Erfolg: Es wurde noch keine toxische Wirkung von 7dSh auf die getesteten Non-target-Organismen gefunden.

Wie und wann schätzen Sie, kann das Produkt auf den Markt kommen?

Unter der Voraussetzung, dass wir den biologischen Wirkmechanismus von 7dSh möglichst zeitnah gut verstehen, seine biologische Herstellung kostengünstig etablieren, die Verpackung des Wirkstoffs – also seine Granulierung oder Einkapselung – funktioniert und erste Feldversuche vielversprechende Resultate ergeben, könnte eine optimistische Schätzung bei fünf, sechs Jahren bis zur Markteinführung liegen. Vor diesem Hintergrund arbeiten wir daran, eine Nachfolgefinanzierung für das gegenwärtige Projekt zu finden – entweder weiterhin in Eigenregie oder mit privaten Partnern.

 

Kontakt

Prof. Dr. Klaus Harter
Eberhard Karls Universität Tübingen
Tel.: +49 (0) 7071 29 72605
E-Mail: klaus.harter@zmbp.uni-tuebingen.de

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