
Immer mehr Bakterien sind gegen herkömmliche Antibiotika resistent – das erschwert es Ärztinnen und Ärzten, beispielsweise in Krankenhäusern, Patientinnen und Patienten ausreichend zu behandeln. Und obwohl immer weniger Therapieoptionen zur Verfügung stehen, werden kaum neue Antibiotika zugelassen.
Diese Problematik ist so akut, dass die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) antibiotikaresistente Stämme auf einer Liste führt. Das Projekt „ROVANCE“ aus der Förderung von VIP+ hat das Potenzial, hier grundsätzlich Abhilfe zu schaffen.
Überwindung von Antibiotikaresistenzen mittels Peptid-Modifikation etablierter Antibiotika
© Prof. Walter Mier, Universitätsklinikum Heidelberg
Das Ziel des Vorhabens „ROVANCE – Chemische Modifikation etablierter Antibiotika mittels Peptid-Konjugation zur Überwindung der Resistenzproblematik“ (engl. Resistance Overcoming Antibiotics New Chemical Entities) besteht darin, bereits etablierte Antibiotika zu reaktivieren, auch wenn sie eigentlich ihre Wirksamkeit verloren haben. Dies erfolgt durch eine strukturelle Anpassung dieser Substanzen, sodass sie die eigentlich resistenten Bakterien wieder abtöten können. Im Rahmen dieses Projekts wird der aktuell im Mittelpunkt stehende Stoff FU002 (Arginin-modifiziertes Vancomycin) präklinisch entwickelt, also testweise hergestellt und untersucht. Erfolgversprechend sind die bisherigen Erkenntnisse vor allem, da die angewendete Modifikationsstrategie potenziell auch auf weitere Antibiotika übertragen werden kann. Somit hat der Ansatz das Potenzial für eine Plattformtechnologie. Das Projekt kann also dazu beitragen, eine wichtige Grundlage für eine bessere medizinische Versorgung weltweit zu legen.
So funktioniert es: Mit der ROVANCE-Strategie innovative Antibiotika mit resistenzbrechenden Eigenschaften generieren
Das Grundprinzip ist einfach: Ein bereits existierendes Antibiotikum wird durch eine Peptidkonjugation wieder wirksam gegen zuvor eigentlich resistente Keime. Ein Peptid ist eine organische chemische Verbindung, die aus einer Verknüpfung mehrerer Aminosäuren hervorgegangen ist. Dabei sind die einzelnen Aminosäuren in einer definierten Reihenfolge, einer Sequenz, zu einer Kette verbunden. Im Projekt werden insbesondere Peptide, die aus basischen Aminosäuren wie z. B. Arginin und Lysin bestehen, an die herkömmlichen Antibiotika gebunden.
Manchmal hilft der Zufall: Wenn aus einem Kontrollversuch ein innovatives Forschungsprojekt wird
Die Projekthistorie ist bemerkenswert: Das ursprüngliche Ziel der Forschungsgruppe war nämlich, eine neue Verabreichungsstrategie für zugelassene Antibiotika zu entwickeln. Substanzen wie Vancomycin können zur Therapie systemischer Infektionen nur intravenös verabreicht werden, was deren Anwendung einschränkt. Das Forschungsteam entwickelte einen innovativen Ansatz zur oralen Verabreichung dieser Substanzen mittels eines Lipidkügelchens. Das Kügelchen war auf der Oberfläche mit einer Peptidsequenz modifiziert, um die Aufnahme im Darm zu ermöglichen. In einem Kontrollversuch koppelte das Forschungsteam diese Peptidsequenz direkt an Vancomycin und stellte in Aktivitätsuntersuchungen fest, dass die hergestellte Substanz eine Wirksamkeit bei eigentlich resistenten Bakterien zeigte. Mit dieser Erkenntnis war das ROVANCE-Projekt geboren.
Enormes Potenzial – enorme Herausforderung
In ihren Vorarbeiten konnten die beiden Projektpartner zeigen, dass bei etablierten Antibiotika die Wirksamkeit gegenüber resistenten Keimen nicht nur wiederhergestellt wurde, sondern sogar eine erhöhte Aktivität beobachtet werden konnte. Das Medikament ist also wirksamer geworden. Darauf basiert die Hoffnung, dass durch die Einnahme geringerer Dosen potenzielle Nebenwirkungen reduziert werden können. Diese Strategie lässt sich ersten Ergebnissen zufolge auch auf weitere Antibiotikaklassen übertragen.
Die in diesem Projekt eingesetzte Strategie hat umfassende Vorteile: Die synthetisierten Wirkstoffe sind nach bisherigem Kenntnisstand sehr gut verträglich, die Herstellung der Peptidkonjugation ist günstig und das Potenzial für die weitere Verwertung ist vielversprechend. Allerdings stellen weitere Fördermöglichkeiten eine große Herausforderung dar, da industrielle Kooperationspartner im Augenblick schwer zu finden sind – die meisten großen Pharmafirmen sind aus der Antibiotikaforschung ausgestiegen, da diese kostenintensiv und weniger gewinnbringend als andere Indikationen ist.
Validierungsförderung für die nächsten Schritte
Nun soll im Zuge der Validierungsförderung der vielversprechendste Leitkandidat FU002 (Arginin-modifiziertes Vancomycin) insbesondere zur Behandlung von Infektionen durch Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) präklinisch validiert werden. Die präklinische Validierung ist in der Medikamenten-Entwicklung ein mehrjähriger Prozess, in dem unterschiedliche Eigenschaften der Substanz untersucht werden. Dazu zählen zum Beispiel (neben der Synthese ausreichender Mengen dieser Substanz) Untersuchungen hinsichtlich Verträglichkeit und Wirksamkeit. Verlaufen die beschriebenen Arbeitspakete erfolgreich, kann im Anschluss die GMP-konforme Herstellung – das heißt gemäß den Qualitätsstandards guter Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice) – des Leitkandidaten FU002 sowie die Vorbereitung einer Erstanwendungstudie am Menschen erfolgen, welche potenziell in zwei bis drei Jahren stattfinden könnte.
Kontakt
JunProf. Dr. Philipp Uhl
Universität Heidelberg
Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie
+49 6221 54-4170
Philipp.Uhl@uni-heidelberg.de
Weitere Informationen zum Projekt ROVANCE