Mehr als nur Recycling: Traubenzucker aus Papierhandtüchern

Das VIP-Projekt Cell2Cell ermöglicht, dass Zellstoffabfälle verzuckert und damit zum wertvollen Rohstoff werden. Der Anfang mit Papiertuch-Abfall ist gemacht – mit Verzuckerungsraten von bis zu 70%.

Cell2Cell_Teaser.jpg
© Prof. Dr. rer. nat. Elke Wilharm

Was wäre, wenn die jährlich rund 70.000 Tonnen anfallender Müll aus Papierhandtüchern nicht – wie größtenteils üblich – in den Restmüll wandern und verbrannt oder kompostiert würden, sondern gesammelt, aufbereitet und in den vielfach verwertbaren Stoff Glukose (auch: Einfachzucker, Traubenzucker) verwandelt? An einer Voraussetzung für dieses Szenario und den damit verbundenen Herausforderungen arbeiten die Projektpartner von der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften und dem Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP im Projekt Cell2Cell.

Ihre Motivation ist, sämtliches CO2, das beim Verbrennen oder Kompostieren von Papiertüchern freigesetzt wird, zu sparen. Dazu soll der Zellstoffabfall nahezu vollständig wieder in einen Nutzungs-Kreislauf überführt werden, bei dem der Kohlenstoff in organischen Verbindungen erhalten bleibt, anstatt dass er abgebaut wird und dabei CO2 entsteht.

„Zucker ist das neue Öl“: Ziel ist, Glukose als wertvollen Rohstoff zu gewinnen

Glukose ist ein nahezu universelles Energie- und Wachstumssubstrat für Zellen und Organismen, deshalb kann es für vielfältige biotechnologische Produktionen eingesetzt werden. Das heißt: Der im Projekt zu validierende Prozess hat das Potenzial, nicht nur eine enorme Menge CO2 zu sparen, sondern den für die biotechnologische Produktion wichtigen Ausgangsstoff Glukose klimaneutral aus Abfall- und Reststoffen zu liefern – beispielsweise als Grundlage für eine Vielzahl von Chemikalien.

Der Weg: Spezielle Enzyme spalten Zellstoff aus Papierhandtuch-Abfall in Einfachzucker

Papiertücher bestehen fast ausschließlich aus Zellulose, einem Vielfachzucker und als Großteil der pflanzlichen Biomasse einer der häufigsten organischen Verbindungen. Im Projekt werden spezialisierte Enzyme, sogenannte Cellulasen, eingesetzt, um den Vielfachzucker wieder in seinen Grundbaustein Glukose aufzuspalten. Aus den so verzuckerten zellulosehaltigen Rest- und Abfallstoffen können dann abhängig von den eingesetzten Produktionsmikroorganismen Plattformchemikalien wie Alkohole, organische Säuren oder Biokunststoffvorstufen sowie Fein- oder Spezialchemikalien hergestellt werden.

Das Neue daran ist das Neue darin: Upcycling statt Recycling

Der Fokus liegt auf Papierhandtüchern, da diese in vielen Gebäuden genutzt werden und sich als Abfallfraktion gut getrennt sammeln lassen, aber üblicherweise im Restmüll landen. Und selbst, wenn sie im Papierkreislauf recycelt würden – der Verzuckerungsprozess birgt noch mehr Vorteile. Denn bei jeder Recyclingrunde verkürzen sich die Fasern, deshalb eignen sie sich im Papierkreislauf nicht unbegrenzt. Im Gegensatz dazu ist der Upcycling-Prozess unabhängig von der Faserqualität und ermöglicht eine flächendeckende, nicht mengenmäßig limitierte Nachnutzung von Papierhandtüchern, wie es sie derzeit weder in Deutschland noch in Europa gibt. Das Verfahren auf den Gesamtpapierabfall anzuwenden, ist allerdings nicht sinnvoll, da dieses im Papierkreislauf benötigt wird.

Für größtmögliche Wirkung validieren, skalieren und informieren

Das Projektteam hat jetzt mit seiner Arbeit mit verschiedenen Papierhandtüchern gezeigt, dass die angestrebte Verzuckerungsrate von 70 Prozent erreicht wird. Außerdem hat ein Aufruf zur Getrenntsammlung von Papierhandtüchern in den Waschräumen der Ostfalia-Hochschule die Zahl der Fehlwürfe deutlich reduziert, was für die spätere Abtrennung von Störstoffen wichtig ist. Dieses Ergebnis freut Projektleiterin Prof. Elke Wilharm besonders: „Das Projekt kann langfristig und in der Fläche mit seinem Nachnutzungskonzept dann erfolgreich sein, wenn gesichert ist, dass möglichst viele Menschen mitmachen, indem sie mit ihrem Verhalten das Trennen des Papierhandtuchabfalls unterstützen. Gute Information ist dafür die Basis.“

Chemie- und Biotechnologieunternehmen können perspektivisch den Entsorgern den getrennt gesammelten Papierhandtuch-Abfall abnehmen und in Parallelprozessstraßen oder eigenen Anlagen verzuckern. Dadurch, dass Entsorgungsunternehmen die Möglichkeit eröffnet wird, neben Altpapier einen weiteren Anteil der Abfälle zu verkaufen, hat das Projekt für die gesamte Abfallbranche ein hohes Innovations- und Anwendungspotenzial.

Kontakt

Prof. Dr. rer. nat. Elke Wilharm
Hochschule Braunschweig/Wolfenbüttel
+49 (0)5331 939-39130
e.wilharm@ostfalia.de

Weiter Informationen zum Projekt Cell2Cell