Beste Sicht! Autoscheinwerfer mit integrierten Radarsensoren

Die permanente Erfassung des Fahrzeugumfeldes ist eine Grundvoraussetzung für viele Assistenzsysteme, die das Steuern von Kraftfahrzeugen unterstützen, sowie für eine zukünftige autonome Navigation. Im Förderprojekt „Radarglass“ wird validiert, inwiefern Radarsensoren, die zum Zweck der Umfelderfassung in der Regel verwendet werden, effizient in Fahrzeugscheinwerfer integriert werden können.

Um die eigentliche Funktion der Scheinwerfer nicht zu beeinträchtigen und um ein möglichst breites Sichtfeld messtechnisch erfassen zu können, hat das Vorhaben RadarGlass eine besondere Oberflächenbeschichtung entwickelt.  Sie ermöglicht, die ausgesendeten Radarwellen umzulenken, ohne die Scheinwerfer abblenden zu müssen. Später sollen so Positionen und Geschwindigkeiten von Objekten, die sich bis zu zweihundert Meter vor dem Fahrzeug befinden, genau erfasst werden.

Scheinwerfer für ein breiteres Sichtfeld
Autoscheinwerfer (Beispielabbildung) ©by-studio/Adobe Stock

Das Interview wurde mit dem Projektleiter Prof. Dr. Heberling von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und Holger Meinel, ehemaliger Manager Technology Management and Research Policy Department der DAIMLER AG und Innovationsmentor für RadarGlass, geführt.

Herr Heberling, welche Vorteile hat es, die Radarsensoren in die Scheinwerfer zu integrieren?

Heberling: Wir sehen zwei entscheidende Vorteile: Zum einen kann durch die Integration von Radarsensoren in die Scheinwerfer zusätzliche Funktionalität bereitgestellt werden, ohne dass kostbarer Bauraum im Stoßstangen- oder Kühlerbereich für die Sensorik vorgesehen werden muss, wie dies bei heute geläufigen Systemen üblich ist. Auch haben die Fahrzeughersteller so mehr Spielraum beim Fahrzeugdesign und -aufbau.

Zum zweiten werden heutige Scheinwerfer stets mit einem Reinigungssystem ausgestattet, allein um die einwandfreie Funktion des Scheinwerfers zu gewährleisten. Damit bleibt gleichzeitig auch die Sichtfähigkeit der Radarsensoren erhalten. Bei Radarsensoren, die etwa im Stoßstangenbereich untergebracht sind, besteht die Möglichkeit, dass Schmutz, Wasser oder Schnee sich sammeln können und damit die Umfelderfassung behindern oder die Präzision und Reichweite der Radarsensoren beeinflusst werden können.

Herr Meinel, Sie betreuen das Projekt als Innovationsmentor und haben lange in der Automobilwirtschaft gearbeitet. Wie schätzen Sie das Anwendungspotenzial der RadarGlass-Innovation ein?

Meinel: Sehr hoch, wenn man sich klarmacht, dass einige Fahrzeughersteller heute mit Testfahrzeugen experimentieren, in denen über 50 Sensoren, wie Radar, Kamera, Lidar und Ultraschallsensoren integriert sind. Diese Sensoren müssen nicht nur so eingebaut werden, dass sie nebeneinander sitzen. Damit sie sich nicht untereinander negativ beeinflussen, brauchen sie auch einen entsprechenden Abstand zueinander. Wenn ich also die Möglichkeit habe, die Radarsensoren in die Scheinwerfer zu integrieren und damit Bauraum zu sparen und Platz für andere Sensoren zu schaffen, dann ist das ein sehr großer Vorteil gegenüber bestehenden Systemen.

Herr Heberling, wie sind diese Oberflächenbeschichtungen beschaffen, die sie in die Scheinwerfer integrieren wollen, und wird die neuentwickelte Messtechnik den praktischen Anforderungen des Straßenverkehrs mit Blick auf die Messgenauigkeit gerecht?

Heberling: In unserem Verfahren werden Metallschichten auf das Glas des Scheinwerfers aufgebracht, die so dünn sind, dass sie die Leuchtkraft des Scheinwerfers kaum beeinflussen. Das geht mit wenigen Verlusten, die aber für die Scheinwerferfunktion akzeptabel sind. Dabei strukturieren wir mit einer Lasertechnik, die von einem Verbundpartner im Projekt entwickelt wurde, die metallischen Oberflächen so, dass diese anfangen, elektromagnetische Wirkungen zu entfalten. Man kann sich das vorstellen, wie eine zusätzliche Linse für die elektromagnetischen Felder oder einen zusätzlichen Reflektor, der eine Fokussierung der Radarstrahlen hervorruft. Damit kann eine spezielle Antennenfunktion für die Radarsensoren im Scheinwerfer generiert werden, ohne dass dies visuell sichtbar wird. Auch können wir bereits aus Messungen und Prüfungen absehen, dass es möglich sein wird, entsprechende strahlformende Reflektoren zu bauen, die typische Anforderungen an Radarsysteme im Automobilbereich erfüllen.

Herr Meinel, wie arbeiten Sie als Innovationsmentor mit dem Konsortium, bestehend aus RWTH Aachen, dem Fraunhofer FEP und dem Fraunhofer ILT, konkret zusammen und wie funktioniert die Abstimmung mit dem Industriebeirat, der für das Projekt eingerichtet wurde?

Meinel: Während der vergangenen zwei Jahre, die das Projekt bereits läuft, haben wir, d.h. die Verbundpartner des Konsortiums und ich, uns alle sechs Monate persönlich getroffen und alle vier bis sechs Wochen Videokonferenzen abgehalten. Dabei war der Austausch, der alle Themen von der Planung der Experimente bis zur Verwertung umfasste, stets sehr produktiv und sehr angenehm. Man hat sich so auch persönlich ganz gut kennengelernt, was dazu beigetragen hat, besser aufeinander eingehen zu können. Nachdem vom Konsortium schließlich ein gemeinsames Patent angemeldet wurde, trat dann im Frühjahr 2019 auch erstmals der Industriebeirat in Aachen zusammen. Dabei waren diverse Automobilzulieferer, die allesamt ein großes Interesse an der Entwicklung bekundet haben. Gerade deshalb wird in Zukunft zu klären sein, wie die Zusammenarbeit zwischen Industriebeirat und Konsortium möglichst produktiv ausgestaltet werden kann.

Herr Heberling, es deutet sich also an, dass sich nach Abschluss des Projektes in einem Jahr auch eine erfolgreiche Verwertung anschließt. Welche Pläne gibt es für die Zeit nach der Validierung?

Heberling: Wir möchten das Validierungsprojekt mit internen Mitteln der Fraunhofer-Institute fortsetzen und den Technologietransfer weiter vorantreiben, um damit Industrienähe zu erzeugen. Da befinden wir uns in der Planung und reden mit der Fraunhofer-Zentrale in München über Möglichkeiten einer Finanzierung, um für unsere Entwicklung eine Produktreife zu erreichen, die für die Industrie interessant ist. Es gibt über die Fraunhofer-Gesellschaft auf verschiedensten Ebenen Kontakte zur Automobilindustrie, Hersteller wie Zulieferer. Meine Beobachtung ist, dass die Automobilhersteller aufgrund ihrer Suche nach Alleinstellungsmerkmalen aktuell eher wenig miteinander sprechen, was uns in eine elegante Position bringt, die RadarGlass-Entwicklung in den Markt bringen zu können und auch dem Auftrag der Fraunhofer-Gesellschaft gerecht zu werden.

Inwiefern konnte Herr Meinel das Konsortium unterstützen?

Heberling: Herr Meinel kennt die gesamte Automobilwelt und da auch insbesondere die Schlüsselpersonen bei Herstellern und Zulieferern für den Bereich der Sensorelektronik. Wir freuen uns, dass er uns unterstützt hat mit den richtigen Leuten in den Dialog treten zu können. Die Idee, dass VIP+ da einen Innovationsmentor vorsieht, hat sich für uns herausragend bewährt - insbesondere mit der Wahl von Herrn Meinel in dieser Position.

Herr Meinel, wie wichtig sind solche Validierungsprojekte für den Technologietransfer?

Meinel: Ich glaube sie sind sehr wichtig. Es gibt viele gute Konzepte aus der Forschung, für die grundsätzliche Machbarkeitsnachweise vorliegen und die dennoch zu industriefern sind. Das war ja auch hier das Problem: Vielen Leuten ist bewusst, dass nicht nur auf Glas durch Metallisierung eine Strahlung, Lenkung und Fokussierung von Radarstrahlen erreicht werden kann, sondern dass dies auch mit anderen lichtdurchlässigen Materialien möglich wäre. Doch wusste man nicht, wie genau das umgesetzt werden kann und was beachtet werden muss. Diese Untersuchungen konnten mithilfe des Förderprogramms VIP+ im Projekt RadarGlass durchgeführt werden. So kann die Entwicklung industrienah gemacht werden und Hersteller und Zulieferer können wahrscheinlich bald darauf zugreifen.

Herr Heberling: Wie sehen die nächsten Schritte im Projekt aus?

Heberling: Wir sind dabei die Demonstratoren zu bauen und zu zeigen, was diese Reflektoren wirklich leisten können. Dafür werden wir eine Vielzahl von Realisierungen umsetzen und gezielte Messungen durchführen. Wir werden dafür ein hochinnovatives Messkonzept aufbauen, in dem wir die Robotertechnik eines Sechs-Achsen-Roboters nutzen werden, um präzise analysieren zu können, mit welcher Qualität und mit welchen Eigenschaften der Reflektor für den Radarsensor das Feld formt. Das ist nicht nur zentral für die Validierung der Entwicklung, sondern auch ein hochinnovativer Durchbruch für die Charakterisierung dieser Sensorik, der auf diese Weise ebenfalls durch die Validierungsförderung erzielbar wurde.

Haben sich die Erwartungen an das Vorhaben aus Sicht aller drei Verbundpartner bislang erfüllt?

Heberling: Wir sind absolut zufrieden mit dem was sich im Rahmen des Validierungsprojektes ergeben hat. Auch wenn sich das Projekt nicht exakt gemäß der Vision entwickelt hat, die wir in der Startphase hatten. Dafür hat sich im Laufe des Projekts eine Vielzahl von weiteren Möglichkeiten aufgetan, wie z.B. das Konzept, die Nahbereichssensorik in die Seitenbereiche des Fahrzeugs zu integrieren und damit das Sichtfeld für die Umfelderfassung deutlich breiter zu gestalten. Auch deutet sich an, dass die Ansätze in völlig anderen Bereichen Anwendungsmöglichkeiten bieten. So zeigte sich beispielsweise, dass mit der im Projekt entwickelten Laserstrukturierung in wärmegeschützten und somit auch elektromagnetische Wellen abschirmenden Gebäuden die Durchlässigkeit von bestimmten Frequenzbändern, wie z.B. für den Mobilfunk, selektiv ermöglicht werden kann. Somit haben sich auch viele neue interessante Perspektiven für die Forschung aufgetan, die wir und die Verbundpartner auch nach Abschluss des Projekts weiterverfolgen werden.

Weitere Informationen

Projekt RadarGlass